Referat Frau Bundesrätin Metzler-Arnold

Bern, 20.12.2002 - Es gilt das gesprochene Wort

Sehr geehrte Damen und Herren

Die Vorlage zur Änderung der Volksrechte ist ein Baustein in der Reform der politischen Institutionen unseres Landes.

Institutionen müssen sich immer wieder den gewandelten Herausforderungen anpassen, um zukunftsfähig zu bleiben.

Die neue Bundesverfassung ist seit dem 1. Januar 2000 in Kraft, die Justizreform haben die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger am 12. März 2000 gutgeheissen; die Staatsleitungsreform und die Neuordnung des Finanzausgleichs und der Aufgaben zwischen Bund und Kantonen sind noch im Parlament.

Es liegt nun an den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern zu entscheiden, ob sie auch den Reformschritt im Bereich der Volksrechte gutheissen möchten.

Ich möchte es aber gleich vorwegnehmen: Die änderung der Volksrechte stellt keine Revolution unserer politischen Institutionen dar.

Es ist vielmehr eine behutsame Reform, welche unsere Volksrechte stärken wird.
Die politischen Institutionen unseres Landes sind bisher immer in kleinen Schritten weiter entwickelt worden.

Dies hat seinen guten Grund: Unsere politischen Grundpfeiler - die Volksrechte, die repräsentative Demokratie, der Föderalismus, die Justiz - sind eng miteinander verbunden.

Stärken wir die Volksrechte, dann hat dies Auswirkungen auf unser Parlament, auf das Verhältnis Bund-Kantone, auf die gerichtlichen Instanzen und anderes mehr.

Eine Revolution bei den Volksrechten würde deshalb das Gleichgewicht zwischen unseren politischen Institutionen gefährden und - möglicherweise ungewollt - einen Teil zu Lasten der anderen stärken.

Die Institutionen unseres Landes haben erfolgreich zur politischen und wirtschaftlichen Stabilität und zum friedvollen Zusammenleben beigetragen. Mit einer Politik der stetigen Anpassungen sind wir auch bei den Volksrechten in der Schweiz bisher weit gekommen.

In verschiedenen Verfassungsrevisionen sind die Rechte des Volkes erweitert und verstärkt worden. Den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern steht heute eine Palette von Mitwirkungsmöglichkeiten zur Verfügung, die auf der Welt ihresgleichen sucht.

Die gut ausgebaute direkte Demokratie möchten wir erhalten und verstärken.

Zwei Entwicklungen der vergangenen Jahre und Jahrzehnte müssen uns zu denken geben.

  1. Die Verfassungsinitiative ist heute nicht mehr hauptsächlich ein Instrument für Verfassungsänderungen, sondern wird vermehrt zum ändern von Gesetzen benutzt.

    Zwei Drittel der Verfassungsinitiativen der letzten 7 Jahre betreffen nicht wirklich Verfassungs-, sondern bloss Gesetzesbestimmungen.

    Jüngere Beispiele für solche Initiativen sind die beiden Tier-Initiativen sowie die Initiative für Tempo 30.

    Die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger werden im Rahmen solcher Initiativen nicht für Fragen an die Urnen gerufen, welche die Verfassung betreffen, sondern bloss für Fragen, die in einem Gesetz geregelt werden können.
     
  2. Die zweite Entwicklung betrifft das internationale Recht. Ob wir es wollen oder nicht: Ein immer grösserer Teil unseres Rechts wird von internationalem Recht bestimmt.

    Bisher waren die demokratischen Rechte beim Staatsvertragsrecht weniger gut ausgebaut als beim Landesrecht. So unterstanden verschiedene Staatsverträge nicht dem Referendum, wohl aber die Gesetze, welche ihre Anliegen ins Landesrecht umsetzten.

    Die direktdemokratischen Rechte setzten somit zu einem zu späten Zeitpunkt ein.

    Mit der wachsenden Bedeutung des internationalen Rechts kann sich diese Entwicklung noch verstärken.

Das Ziel muss deshalb sein: Den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern müssen die richtigen Instrumente zur Verfügung stehen, und sie sollen sich zum richtigen Zeitpunkt zu den Geschäften dieses Staates äussern können.

Das meinen wir mit einer Verstärkung der direkten Demokratie.

Zu den Volksrechten hatte der Bundesrat 1996 konkrete Reformvorschläge unterbreitet. Die Vorlage ist dann aber 1999 -wegen der Erhöhung der Unterschriftenzahlen - im Parlament gestrandet. Das Parlament hat - veranlasst durch eine parlamentarische Initiative - die mehrheitsfähigen Elemente der damaligen Reform wieder aufgenommen und das vorliegende Reformpaket geschnürt.

Herr Nationalrat Antille und Herr Ständerat Dettling werden im Anschluss an meine Ausführungen die Hauptpfeiler der Vorlage vorstellen.

Bevor ich abschliesse, möchte ich auf zwei Einwände eingehen, die gegen die Vorlage geäussert werden:

  1. Es wird befürchtet, dass die Erweiterung des Staatsvertragsreferendums die aussenpolitische Handlungsfähigkeit unseres Landes beeinträchtigen würde.

    Dieser Einwand ist ernst zu nehmen. Die direkte Demokratie ist mit Chancen und Risiken verbunden. Die Chance, dass bei allen wichtigen Entscheiden das gesamte Volk mitsprechen darf. Jede Volksabstimmung bietet die Gelegenheit, die Stimmberechtigten zu informieren. Stimmt das Volk dem Staatsvertrag zu, dann legitimiert es das aussenpolitische Handeln des Staates. Natürlich besteht das Risiko, dass ein Staatsvertrag auch mal abgelehnt wird. Das ist der Preis der Demokratie.

    Zu verschiedenen Staatsverträgen kann das Volk sich heute nur indirekt äussern, nämlich bei deren Umsetzung in ein Gesetz. Dann sind aber eigentlich die Weichen bereits gestellt. Das Volk soll zum richtigen Zeitpunkt mitsprechen dürfen - nämlich beim Vertragsschluss.
     
  2. Verschiedene Kreise lehnen die änderung der Volksrechte ab, weil sie die Reform für unzureichend halten. Sie hoffen, eine Ablehnung würde die Chance für einen neuen Anlauf bieten. Ich erachte dies als Wunschdenken. Die Devise "Lieber den Spatz in der Hand als die Taube auf dem Dach" ist für eine Verstärkung der Volksrechte eine viel realistischere Lösung.

Ich komme zum Schluss. Die änderung der Volksrechte ist keine Reform der "grossen Gefühle" oder gar der Leidenschaft. Es ist aber eine Reform der Vernunft, welche die bestehenden Vorteile unserer Volksrechte sichert und diese verstärkt. Sie verdient deshalb die Unterstützung durch die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger und ein Ja an den Urnen.


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