Fünfter Tätigkeitsbericht der NKVF

Bern. Die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) hat heute ihren fünften Tätigkeitsbericht veröffentlicht. Die Kommission untersuchte im letzten Jahr zahlreiche Untersuchungsgefängnisse und überprüfte erstmals auch geschlossene Jugendeinrichtungen. Daneben begleitete sie im Rahmen des ausländerrechtlichen Vollzugsmonitorings weiterhin sämtliche zwangsweisen Rückführungen auf dem Luftweg. Ihren Schwerpunkt richtete sie im letzten Jahr auf die Grundrechtskonformität des Untersuchungshaftvollzugs sowie auf den Vollzug von zivil- und jugendstrafrechtlichen Massnahmen in geschlossenen Jugendeinrichtungen. Fazit ihrer schweizweiten Überprüfung im Bereich der Untersuchungshaft: Mit Blick auf die Unschuldsvermutung trägt die aktuelle Ausgestaltung des Untersuchungshaftvollzugs den grundrechtlichen Anforderungen nicht gebührend Rechnung.

Im Berichtsjahr führte die NKVF insgesamt 21 Besuche in Einrichtungen des Freiheitsentzugs in elf verschiedenen Kantonen durch. Darunter befanden sich sieben Untersuchungsgefängnisse, zwei Strafvollzugsanstalten, sechs Einrichtungen für den Vollzug von zivil- und jugendstrafrechtlichen Massnahmen und drei von der Polizei geführte Einrichtungen. In den Kantonen Bern, Genf und Thurgau führte sie zum Zweck der Überprüfung der Umsetzung ihrer Empfehlungen Nachfolgebesuche durch.

Im Rahmen des ausländerrechtlichen Vollzugsmonitorings begleitete die NKVF im letzten Jahr zudem 46 zwangsweise Rückführungen auf dem Luftweg der Vollzugsstufen 3 und 4 und beobachtete insgesamt 46 Zuführungen von Rückzuführenden an den Flughafen. 

Grundrechtskonformität des Untersuchungshaftvollzugs

Die Kommission richtete im letzten Jahr ihren Fokus auf die Haftbedingungen im Bereich des Untersuchungshaftvollzugs. Seit Aufnahme ihrer Tätigkeiten im 2010 besuchte die Kommission insgesamt 26 solche Einrichtungen. Anlass für eine vertiefte Auseinandersetzung mit dieser Thematik gaben die für Personen in Untersuchungshaft teilweise übermässig restriktiven Haftbedingungen. Unterstützt durch eine gutachterliche Abklärung der Untersuchungshaft aus menschen- und grundrechtlicher Sicht überprüfte die Kommission sieben Untersuchungsgefängnisse, namentlich in den Kantonen Basel-Stadt, Bern, Nidwalden, St. Gallen, Zürich, Waadt, und fasste ihre Erkenntnisse im vorliegenden Bericht zusammen. 

Übermässig lange Einschlusszeiten

Die Kommission stellte fest, dass der Untersuchungshaftvollzug schweizweit keiner einheitlichen Regelung unterliegt und sich die Haftbedingungen folglich von Kanton zu Kanton z.T. erheblich unterscheiden. Als unverhältnismässig bezeichnete die Kommission namentlich die in den meisten Einrichtungen übermässig langen Einschlusszeiten von über 20 Stunden am Tag. Auch die Möglichkeiten in Bezug auf sportliche Betätigung und Beschäftigung erwiesen sich in den von der Kommission überprüften Einrichtungen als sehr unterschiedlich und standen oftmals nur Personen im Strafvollzug zur Verfügung. In nur wenigen Einrichtungen gestaltete sich das Haftregime in der Form eines Gruppenvollzugs. 

Restriktive Handhabung der Aussenkontakte

Als besonders problematisch stufte die Kommission auch die unterschiedliche und zum Teil sehr restriktive Handhabung der Aussenkontakte ein, insbesondere in Bezug auf den Empfang von Familienbesuchen und den Zugang zum Telefon. Im Lichte menschen- und grundrechtlicher Vorgaben erachtet sie das Verhängen von generellen Besuchsverboten kaum als verhältnismässig und legt den Strafverfolgungsbehörden und den Anstaltsleitungen deshalb nahe, in ihren Richtlinien das Recht auf Privat- und Familienleben gebührend zu berücksichtigen. 

Unschuldsvermutung unzureichend berücksichtigt

Aus grundrechtlicher Sicht ritzen die mit der Untersuchungshaft verbundenen Einschränkungen im Bereich der Bewegungsfreiheit und der Aussenkontakte das Verhältnismässigkeitsprinzip bzw. erweisen sich teilweise sogar als unverhältnismässig. Das Fazit der Kommission ist deshalb eindeutig: Die aktuelle Ausgestaltung des Untersuchungshaftvollzugs trägt vielerorts und in manchen Bereichen der Unschuldsvermutung nur unzureichend Rechnung. Den in einzelnen Einrichtungen bereits praktizierten Gruppenvollzug mit angemessenem Zugang zu Bewegungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten und, in vernünftigem Rahmen, zu Aussenkontakten gilt es deshalb schweizweit zu fördern. Nur so wird die eigens zum Zweck der Untersuchung verhängte strafprozessuale Zwangsmassnahme nicht als eigentliche Strafe ausgestaltet. 

Dokumente

Letzte Änderung 23.06.2015

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