Schweizweite Überprüfung des stationären therapeutischen Massnahmenvollzugs

In ihrem heute veröffentlichten Bericht über den stationären therapeutischen Massnahmenvollzug zieht die Nationale Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) eine gemischte Bilanz. Die materiellen Haftbedingungen und das vielseitig vorhandene Beschäftigungsangebot stuft sie schweizweit als positiv ein. Regionale Unterschiede stellt sie in der konzeptionellen Ausgestaltung des Massnahmenvollzugs und der Zugänglichkeit des Therapieangebots fest. Handlungsbedarf ortet die Kommission zudem im Bereich der Vollzugsplanung und bei der Sanktionierung von negativen Verhaltensweisen. Kritisch äussert sich die Kommission schliesslich zu den restriktiven Vollzugsöffnungen.

Regional unterschiedliches Therapieangebot

Während der Fokus in der Deutschschweiz maßgeblich auf der Gruppentherapie liegt, steht die forensische Einzeltherapie in der Westschweiz im Vordergrund. Bewährt haben sich mit Blick auf eine gesellschaftliche Wiedereingliederung Massnahmenvollzugskonzepte, die auf einem milieutherapeutischen Ansatz beruhen. Die Kommission legte den Behörden deshalb nahe, möglichst einheitliche konzeptionelle Grundlagen zu schaffen und eine einzelfallgerechte Kombination aus Gruppen- und Einzeltherapie vorzusehen. Die geschlossenen Strafvollzugseinrichtungen bezeichnete die NKVF aufgrund der teilweise begrenzt vorhandenen milieutherapeutischen Möglichkeiten und der Einschränkungen im Bereich der Bewegungsfreiheit für den Massnahmenvollzug als bedingt geeignet. Den kantonalen Stellungnahmen entnimmt sie jedoch mit Zufriedenheit, dass in einzelnen geschlossenen Strafvollzugseinrichtungen in dieser Hinsicht offenbar wichtige Fortschritte erzielt wurden.

Lückenhafte Vollzugspläne

Regelmässig monierte die Kommission in den überprüften Einrichtungen die lückenhaft vorhandenen oder sogar fehlenden Vollzugspläne und regte an, mit der Erarbeitung des Vollzugsplans und der Formulierung von konkreten und nachvollziehbaren Zielsetzungen unmittelbar nach Eintritt der Personen zu beginnen, so dass Vollzugspläne nach spätestens drei Monaten vorliegen.

Umgang mit Sanktionen

Den Umgang mit der Sanktionierung von negativen Verhaltensweisen erachtete die Kommission nicht immer als angemessen. Während die Sanktionierung in den spezialisierten Massnahmenvollzugseinrichtungen meist einen therapeutischen Effekt verfolgte, rügte die Kommission in geschlossenen Strafvollzugseinrichtungen, dass Regelverstösse mit therapeutisch nicht immer sinnvollen Arrestvollzügen geahndet wurden. Die Kommission legt den Einrichtungen in ihrem Bericht nahe, Disziplinierungen stets unter Berücksichtigung des psychiatrischen Störungsbildes vorzunehmen, die Konsequenzen eines möglichen Arrestvollzugs aus therapeutischer Sicht abzuwägen und sämtliche Disziplinierungen formell zu verfügen. Aus grundrechtlicher Sicht als unhaltbare und den Massnahmenvollzug vereitelnde Massnahme bezeichnete die Kommission zudem die sich teilweise über mehrere Monate oder Jahre erstreckende Unterbringung von Massnahmenpatienten in Sicherheitszellen bzw. in Hochsicherheitsabteilungen. Der Gefährlichkeit der Eingewiesenen gilt es aus Sicht der Kommission insbesondere mit therapeutischen und nicht nur mit sicherheitstechnischen Mitteln zu begegnen.

Restriktive Vollzugsöffnungen

Kritisch würdigte die Kommission auch die restriktive Praxis im Bereich der Vollzugsöffnungen und ersuchte die Behörden mit Blick auf die mittelfristig angestrebte gesellschaftliche Wiedereingliederung der Massnahmenpatienten, Vollzugsöffnungen unter Berücksichtigung sämtlicher sicherheitsrelevanter Aspekte zu ermöglichen.

Hintergrund

Die Kommission überprüfte zwischen 2013 und 2016 insgesamt acht Einrichtungen des stationär therapeutischen Massnahmenvollzugs. Im Rahmen ihrer Besuche legte sie ein besonderes Augenmerk auf das vorhandene Therapieangebot, die Einschränkungen im Bereich der Bewegungsfreiheit, die Anwendung von freiheitsbeschränkenden Massnahmen und überprüfte diese im Lichte der internationalen Richtlinien und der gesetzlich einschlägigen Vorgaben. Gleichzeitig beauftragte sie das Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Bern mit der Realisierung einer Studie über die Anordnung und den Vollzug stationärer therapeutischer Massnahmen und diskutierte ihre Erkenntnisse und Empfehlungen aus der schweizweiten Überprüfung im Rahmen einer Rundtischdiskussion im September 2016 mit den zuständigen kantonalen Behörden und Einrichtungen, denen sie ihren Schlussbericht im Februar 2017 zur Stellungnahme zukommen liess.

Letzte Änderung 18.05.2017

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